Der Börsengang des britischen Unternehmens Achilles Therapeutics im vergangenen Monat mit einem Volumen von 146,9 Mio. € (175,5 Mio. $) war möglicherweise der lang ersehnte Startschuss für Investitionen in Neoantigen-basierte Therapien, eine Art personalisierter Krebsimmuntherapien, die auf Proteine abzielen, die nur im Tumor des Patienten vorkommen.
Auf Neoantigene fokussierte Unternehmen haben bereits in der Vergangenheit kleinere Börsengänge (IPOs) abgeschlossen. Zwei wichtige Beispiele im Jahr 2018 waren ein Nettoerlös von 80 Mio. € (95,6 Mio. $) für das US-Unternehmen Gritstone Oncology und ein Börsengang von 75,2 Mio. € (89,9 Mio. $) und für die ebenfalls US-amerikanische Firma Neon Therapeutics. Aber der Börsengang von Achilles, der einer Reihe von Fundraising-Ankündigungen jüngerer Neoantigen-Firmen in den letzten sechs Monaten folgt, ist ein Zeichen dafür, wie sehr sich die Investoren für das Thema interessieren.
Die Investoren waren nach einigen klinischen Misserfolgen in der Spätphase der Entwicklung von Therapien, die auf Tumor-assoziierten Antigenen (TAAs) basieren, skeptisch gegenüber Neoantigenen, sagt Cedric Bogaert, Mitbegründer und CEO von myNEO, einem Bioinformatik-Unternehmen aus Belgien, das Neoantigene für die Forschung identifiziert. TAAs kommen in vielen Arten von Tumoren vor, was sie für Medikamentenentwickler interessant macht. Allerdings finden sich einige auch im gesunden Gewebe, was das Risiko von Off-Target-Effekten vergrößert.
Personalisierte Therapien der neueren Generation zielen auf Neoantigene ab, eine Art tumorspezifisches Antigen (TSA), das im Laufe der Zeit durch die Anhäufung von Mutationen in Tumorzellen auftritt und die auf der Oberfläche der Zellen befindlichen Proteine verändert. Die Identifizierung patientenspezifischer Neoantigene war bisher eine große Herausforderung, doch die jüngsten Entwicklungen in der Bioinformatik haben diesen Prozess vereinfacht.
myNEO hat eine Bioinformatik-Plattform zur Validierung von Neoantigenen geschaffen, die von Partnerunternehmen für die Identifizierung individueller Therapieziele in klinischen Studien genutzt wird. Vor wenigen Monaten gab myNEO eine Partnerschaft mit dem Sequenzierungsunternehmen OncoDNA bekannt, um auf Basis von Boten-RNA (mRNA) maßgeschneiderte Impfstoffe gegen Krebsneoantigene zu entwickeln. Durch die Bemühungen um Impfstoffe gegen die Covid-19-Pandemie haben die mRNA-Therapeutika seit dem letzten Jahr an Bedeutung gewonnen.
Achilles Therapeutics setzt eine eigene Bioinformatik-Plattform ein, um Neoantigene über einen T-Zell-Therapieansatz zu bekämpfen. Die Methode besteht darin, Immunzellen zu extrahieren, die in den Tumor des Patienten eingedrungen sind, sogenannte tumorinfiltrierende Lymphozyten (TILs). Das Unternehmen ist dann in der Lage, jene TILs zu identifizieren, zu vermehren und zu reinfundieren, die gezielt die individuellen klonalen Neoantigene des Patienten angreifen – das heißt jene, die früh in der Krebsentwicklung auftreten und daher mit größerer Wahrscheinlichkeit in den meisten Zellen eines Tumors vorkommen.
Die beiden wichtigsten Projekte von Achilles befinden sich in Phase I/II-Tests für die Behandlung von fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs und Melanomen.
Der belgische mRNA-Spezialist eTheRNA nutzte ähnliche ex-vivo-Ansätze, um seine Technologie in einer Phase I/IIa-Studie an Patienten mit fortgeschrittenem Melanom zu erproben. Bei diesem Verfahren sind jedoch technische Herausforderungen zu meistern. Laut eTheRNAs Vice President of Business Development, Michael Mulqueen, “ist es immer noch ein bisschen Kunst, die Zellen dazu zu bringen, sich außerhalb des Körpers zu vermehren.”
eTheRNA kodiert Neoantigene in mRNA-Impfstoffe, die es als handelsübliche immuntherapeutische Krebsimpfstoffe entwickelt. Das Unternehmen plant, die Technologie in einer Phase I/IIa-Studie als Krebs-Monotherapie und in Kombination mit einem Immun-Checkpoint-Inhibitor noch in diesem Jahr zu testen.
Um die Krebsbehandlung zu verbessern, werden nach Ansicht von Mulqueen maßgeschneiderte Kombinationstherapien notwendig sein. So schalten Checkpoint-Inhibitoren die natürlichen Abwehrmechanismen von T-Zellen, die manche Krebsarten ausnutzen, wirksam aus und führen bei einigen Patienten zu einem beachtlichen Therapieerfolg. Aber sie sind nicht für jeden Tumortyp und für alle Patienten geeignet. Neoantigen-Therapien können die Checkpoint-Inhibitoren ergänzen, indem sie das Immunsystem in die Lage versetzen, Krebszellen von gesunden Zellen zu unterscheiden.
Andere Patienten reagieren vielleicht auf andere Therapieformen, wie z. B. Zelltherapien. “Der Arzt wird mit dem Patienten eine Kombination aus verschiedenen Therapien erarbeiten. “, fügt Mulqueen hinzu.
Die Investoren dürften sich zum Teil dafür begeistern, dass die Kosten überschaubarer werden, vor allem für nicht so spezielle Behandlungsmethoden. Mulqueen sagt jedoch, dass die Therapien niemals billig sein werden, “Egal wie ausgefeilt sie sind. Aber es geht hier um die Bekämpfung einiger sehr tödlicher Erkrankungen, daher müssen wir hier ein vernünftiges Gleichgewicht finden.”
eTheRNA hat im vergangenen Jahr eine 34 Millionen Euro umfassende Finanzierungsrunde aufgenommen, die das Unternehmen mindestens bis zum nächsten Jahr finanzieren wird. Mit Blick auf die Zukunft glaubt Mulqueen, dass der Börsengang von Achilles zeigt, dass Investoren Interesse an Neoantigen-Therapien entwickeln. “Achilles hat seinen Börsengang wahrscheinlich recht gut getimt”, sagt er. “Hätte es dies vor vielleicht acht Jahren versucht, wären die Investoren wohl der Meinung gewesen ‘Zelltherapien? Etwas zu riskant.’”
Doch die Nachfrage nach der Produktion von Zelltherapien ist im letzten Jahr drastisch gestiegen, zusammen mit Unternehmen, die in diesem Bereich innovativ sind, was die Hoffnung auf eine Senkung der Kosten und einen breiteren Zugang zu personalisierten, auf Neoantigene ausgerichtete Zelltherapien weckt. “Die Bereitschaft, dies als geeignete Therapie zu nutzen, ist jetzt größer”, sagt Mulqueen.
“Durch Covid-19 hat im vergangenen Jahr alles, was mit dem Bereich der Immuntherapie zu tun hat, einen großen Impuls bekommen”, sagt Bogaert. “Der IPO von Achilles war eine Art Begleiterscheinung, aber er bedeutet für die Immuntherapie auch eine Reihe von erfreulichen Nachrichten. Er zeigt die Erkenntnis, dass es ein sehr zukunftsträchtiges Technologiefeld ist.”