Das “Expertengremium” Junge Digitale Wirtschaft ist der Meinung, dass man den Medien künftig die Berichterstattung zu IPOs vorgeben sollte. Die Politik ist gefordert, zur Förderung von Börsengängen energisch einzuschreiten.

Maßgebliche Sprecher und Vertreter der Startup-Szene fordern, das Recht auf Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung in Deutschland künftig einzuschränken: Der Gründerbeirat Junge Digitale Wirtschaft macht sich dafür stark, dass sich Journalisten nicht mehr in das Fundraising von Unternehmen einmischen dürfen. So lautet eine kürzlich veröffentlichte Meldung aus dem Bundesministerium für Wirtschaft.

In einem Positionspapier zu IPOs Deutscher Start-up-Unternehmen macht das Gremium, welches Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) als Berater zur Seite steht, die Presse für die Flaute bei den Börsengängen verantwortlich. Demnach müsse nun die Politik “für eine ausgewogene Berichterstattung sorgen”, so die Forderung.

Das Papier empfiehlt eine Reihe von Maßnahmen: Unter anderem soll ein “Regulativ zur Verhinderung einseitiger diffamierender Artikel” geschaffen werden. Dazu wird ein staatlicher Erlass zur “Disziplinierung der Presse und zu sachlicher, richtiger und vollständiger Berichterstattung” vorgeschlagen, der eine unbotmäßige Berichterstattung unterbinden soll.

Als Verfasser sind die Amorelie Gründerin Lea-Sophie Cramer, der Investor Christoph Gerlinger von der German Startups Group und Alex von Frankenberg, Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds, genannt.

Dem widersprach Gerlinger jedoch auf Nachfrage. Seiner Meinung nach sind die Verpflichtungen nicht für alle Redaktionen erforderlich. Gefragt, wer denn beurteilt, inwieweit ein Artikel sachlich, richtig und vollständig ist, erwiderte er: “Nur die Gerichte.”

 

Auf Anfrage beim Bundeswirtschaftsministerium distanzierte sich dieses allerdings von den Inhalten des Papiers. “Derartige Vorschläge werden seitens des BMWi abgelehnt. Die Pressefreiheit ist für das Wirtschaftsministerium ein hohes rechtsstaatliches Gut”, betonte eine Sprecherin. Der Inhalt des Positionspapiers wurde “als bloße Meinungsäußerung” auf der Homepage des Ministeriums veröffentlicht.

 

Kurz darauf waren die Dokumente auf der Website nicht mehr abrufbar. Dazu erklärte Wirtschaftsminister Peter Altmaier auf Twitter: “Die Pressefreiheit ist ein herausragendes Grundrecht, dessen Schutz wir verpflichtet sind. Das Positionspapier des Beirats Junge Digitale Wirtschaft war mir eben sowenig bekannt wie seine Veröffentlichung auf der Homepage. Ich habe soeben die umgehende Entfernung angeordnet.”

Der Minister zog auch Konsequenzen in Betracht: “Der Vorsitzende des Beirats hat sich inzwischen öffentlich distanziert. Wir werden umgehend die Verantwortlichkeiten klären und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen.”

Auf Initiative durch den damaligen Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) wurde 2013 der Beirat Junge Digitale Wirtschaft gegründet. Er berät laut seiner Satzung den Bundeswirtschaftsminister zu den Themen Technologien und Wachstumsbedingungen für junge Unternehmen mit Stellungnahmen und Empfehlungen.

 

Im September 2020 hatte der amtierende Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier gesagt, dass für ihn dieser Beirat eine “wichtige Quelle der Inspiration” sei. Er gibt mit seiner fachlichen Kompetenz und seinen praktischen Erfahrungen “wertvolle Anregungen”. Gegenwärtig gehören dem Gremium 29 Männer und Frauen an.

Als Vorsitzende treten die Ratepay-Mitgründerin Miriam Wohlfarth und Christian Vollmann, Co-Gründer vom Social Network nebenan.de, auf. Mit dabei sind auch die Vizepräsidentin des Bundesverbandes Deutsche Startups, Gesa Miczaika, Bastian Nominacher, Chef des derzeit wertvollsten deutschen Startups Celonis, Flixmobility-Gründer André Schwämmlein und Earlybird-Investor Fabian Heilemann.

 

In den Redaktionen mache sich ein “regelrechtes IPO- und New-Economy-Bashing breit”, prangern die drei Verfasser des Whitepapers an. Und sie verweisen exemplarisch auf den Börsengang von Delivery Hero im Jahr 2017, der nach ihren Worten “von der Finanzpresse als völlig überbewertete Luftnummer als defizitäre Lieferplattform mit einem Emissionswert von vier Milliarden Euro regelrecht zerrissen wurde. Heute würde der Wert des Unternehmens bei 30 Milliarden Euro liegen.

 

Dass Delivery Hero im Jahr 2020 bei einem Umsatz von 2,5 Milliarden Euro noch einen operativen Verlust von 894 Millionen Euro gemacht hat, blenden sie dabei völlig aus. Allein die Vorsteuerverluste haben sich seit dem Börsengang auf 2,6 Milliarden Euro summiert.

 

“Informationspflicht der Presse”

Dabei geizt man nicht mit Eifer. Denn die Interessenvertreter wollen nicht nur festlegen, wie die Medien zu berichten haben, sie wollen ihnen auch vorschreiben, über welche Themen sie zu berichten haben. Es müsse eine “Verpflichtung für die Presse geben, auch über kleine Börsengänge zu berichten”, so die Forderung in ihrem Positionspapier.

Auf der anderen Seite aber möchte der Beirat die bestehenden Regulierungsvorschriften zugunsten der eigenen Klientel aufzuweichen. So soll etwa die Haftung für zukunftsorientierte Aussagen von Emittenten und Underwritern entschärft werden, aber auch Verpflichtungen zur Publikation von Ad-hoc-Meldungen und zu Insidergeschäften. Die Protokollierungspflicht für Berater, die Tech-Titel empfehlen, soll ebenso abgeschafft werden.

Nach Ansicht der Urheber schädigen auch viele Internetforen die IPOs. Deren Betreiber müssten gezwungen werden, “die Klarnamen der Blogger offenzulegen”, so die Position der Autoren. Zusätzlich auch wird die “Einführung einer Haftung der Blogger für falsche Behauptungen und Beleidigungen” empfohlen.

Bei dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) lösen diese Forderungen unliebsame Erinnerungen aus. Die Causa Wirecard, immerhin der größte Betrug in der deutschen Vergangenheit, hat gezeigt, “wie wichtig eine kritische und unabhängige Berichterstattung ist”, heißt es in einer Stellungnahme.

Jahrelang bekämpfte der untergegangene Zahlungsdienstleister vor allem kritische Berichte, brachte immer wieder Journalisten oder Blogger zur Anzeige. Für den ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun steht heute der Vorwurf des gewerbsmäßigen bandenmäßigen Betrugs, der Marktmanipulation und der schweren Untreue im Raum. Seine Investoren haben Milliarden verloren, und er sitzt in U-Haft.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sieht in den Forderungen des Beraterstabes gegenüber den Medien eine völlige Ignoranz gegenüber dem Journalismus und seinen Aufgaben in einer Demokratie”, so der DJV. Den Beiräten ist das Grundrecht der Pressefreiheit offensichtlich fremd: “Sie fordern Hofberichterstattung statt kritischen Wirtschaftsjournalismus.